Die Möglichkeit, die eigene Fruchtbarkeit mit einer einzigen Tablette zu regulieren, könnte bald Realität werden. Eine deutsche Biologin hat eine „Pille für den Mann“ entwickelt, die genau das ermöglichen soll. Im Folgenden wird erläutert, wie dieses Verfahren funktioniert und welche Herausforderungen dabei zu meistern sind.
Für Frauen stehen zahlreiche Verhütungsmethoden zur Verfügung, wie die Pille, Spiralen und andere hormonelle sowie nicht-hormonelle Optionen. Obwohl viele dieser Methoden potenzielle Risiken bergen, schenken sie Frauen die Kontrolle darüber, wann sie ein Kind bekommen möchten. Die Auswahl für Männer hingegen ist begrenzt: Entweder verwenden sie Kondome oder entscheiden sich für eine Vasektomie. Während Kondome in Deutschland am meisten verbreitet sind, bieten sie nicht das gleiche Sicherheitsniveau wie die Pille. Eine Vasektomie ist zudem nicht rückgängig zu machen, da hierbei die Samenleiter durchtrennt werden.
Nadja Mannowetz, eine Biologin, verfolgt das Ziel, mehr Gleichheit in der Verhütung zu schaffen. Seit mehreren Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit der Erforschung von Spermien; im Jahr 2018 gründete sie ein Unternehmen mit dem Ziel, eine „Pille für den Mann“ auf den Markt zu bringen. Ursprünglich plante sie, ihre akademische Laufbahn in Kalifornien, wo sie seit über zehn Jahren lebt, weiterzuverfolgen. „Die Gründung einer Firma war nicht in meinen Plänen“, merkt die Wissenschaftlerin an.
Während ihrer Zeit in den USA erzielte sie eerste interessante Erkenntnisse im Bereich nicht-hormoneller Verhütungsmittel für Frauen. Verhütung ohne Hormone steht für ein vermindertes Risiko von Brustkrebs, Thrombosen, Gewichtszunahme und Stimmungsschwankungen. „Wir dachten damals, unser Konzept würde ein Hit und wir könnten es an Unternehmen verkaufen“, berichtet sie.
Doch es gab kaum Interesse daran, mithilfe pflanzlicher Moleküle die Befruchtung von Eizellen durch Spermien zu verhindern. „Das lag vermutlich daran, dass oft Männer über Investitionen entschieden und die Notwendigkeit nicht erkannt haben“, vermutet Mannowetz, die daraufhin gemeinsam mit Forscher Akash Bakshi ein eigenes Unternehmen gründete.
Hohe Nachfrage von Männern
Das Interesse der Investoren wuchs erst, als die Firma ihren Forschungsfokus in Richtung männliche Verhütung verschob. Mannowetz beobachtet einen klaren Bedarf an Lösungen. Ihre Firma erhält täglich zahlreiche Anfragen von Männern, die wissen möchten, wo sie das Produkt erwerben können, ob sie an Studien teilnehmen dürfen und dass sie gerne ihre Fruchtbarkeit selbst kontrollieren würden.
Viele Männer berichten, dass ihre Partnerinnen unter Nebenwirkungen der Pille leiden und sie bereit wären, die Verantwortung für die Verhütung zu übernehmen. Diese Rückmeldungen korrespondieren mit Umfragen in unterschiedlichsten Ländern, die eine hohe Bereitschaft von Männern aufzeigen, Verhütungsmittel zu akzeptieren. Für Mannowetz sind diese Nachrichten von Bedeutung. „Als ich jünger war, war es selbstverständlich, dass Frauen die Verantwortung für die Verhütung trugen“, sagt die 51-Jährige. „Zahlreiche persönliche Geschichten berühren mich.“
Entwicklungen in der männlichen Verhütung
Weitere Firmen arbeiten ebenfalls an männlichen Verhütungsmethoden. Derzeit werden ein hormonelles Verhütungsgel, eine Technik zur Blockierung der Samenleiter sowie die Tablette von Mannowetz klinisch getestet. Letztere basiert auf einem nicht-hormonellen Ansatz, soll einmal täglich eingenommen werden und hat laut der Erfinderin keinen Einfluss auf Libido und Potenz.
Die wissenschaftlichen Grundlagen des kleinen Teams bauen auf einer längst bekannten Tatsache auf: Vitamin A spielt eine bedeutende Rolle für die männliche Fruchtbarkeit. Der Wirkstoff, den sie verwenden, senkt nicht den Vitaminspiegel, sondern blockiert einen Signalweg in den Hoden, wie Mannowetz erklärt. Dadurch wird die Produktion neuer Spermien ausgesetzt. Setzt der Mann die Einnahme der Tablette ab, kehrt alles wieder zur Normalität zurück.
Aktuell läuft die zweite klinische Studie. Zwei weitere Studien sind erforderlich, bevor die Marktzulassung beantragt werden kann. „Wir müssen eine größere Sicherheit bieten als Kondome, sonst ist unser Produkt nicht von Wert“, betont Mannowetz. Bisher zeigt die Entwicklung vielversprechende Fortschritte: „Es gab bislang keine schweren Vorfälle, weshalb ich sehr optimistisch bin.“ Die Marktzulassung strebt die Biologin in einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren an.
Regulierungsfragen und gesellschaftliche Ansprüche
So neu das Thema auch ist, es wirft auch neue Fragen auf. Beispielsweise: Wie sollten Nebenwirkungen bewertet werden? Kritiker argumentieren, dass Verhütungsmittel für Männer keinen medizinischen Nutzen haben. Mannowetz widerspricht: Ungewollte Schwangerschaften wirken sich negativ auf die Psyche des Mannes aus. „Die Zeit ist vorbei, in der Männer behaupten können, ungewollte Schwangerschaften seien nicht ihr Problem.“ Auch Vaterschaftstests haben diese Diskussion beeinflusst. „Ein männliches Verhütungsmittel kann also nicht unmittelbar biologischen Nutzen bringen, hat jedoch psychologische, emotionale und auch finanzielle Vorteile.“
Außerdem stellt sich die Frage, welche Anforderungen Behörde stellen, die bislang nur Standards für weibliche Verhütungsmittel entwickelt haben. Laut der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) gab es seit über 20 Jahren keine Anfragen für männliche Verhütungsmittel. „Ich hatte nicht angenommen, dass wir umfangreiche Informationsarbeit leisten müssen“, sagt Mannowetz. Dennoch sieht sie darin auch eine Chance: Wer der Erste ist, braucht zwar Erklärungen, hat aber auch die Möglichkeit, die Regulierung eines neuen Bereichs mitzugestalten.
Politisch hat das Thema mittlerweile an Aufmerksamkeit gewonnen. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), und der CDU-Abgeordnete sowie Arzt Peter Liese fordern aktuell Leitlinien für männliche Verhütungsmittel. Liese argumentiert, dass die Partnerschaft auf Augenhöhe durch Verhütungsmittel für beide Partner gestärkt wird und die Regulierung dies berücksichtigen sollte. Barley hebt hervor, dass es ungerecht sei, Männern nur Präparate ohne Nebenwirkungen zu gestatten, während Frauen häufig erhebliche körperliche und psychische Belastungen Schmerzverhütung erleiden.
Darüber hinaus weist Liese darauf hin, dass männliche Verhütung ungewollte Schwangerschaften verhinderen könnte, was zugleich auch Abtreibungen reduzieren könnte. Nach einer Studie ist nahezu jede siebte Schwangerschaft in Deutschland ungewollt, und fast die Hälfte dieser Schwangerschaften endet in einer Abtreibung.









